Die Illusion vom passiven Einkommen
Warum "Geld verdienen im Schlaf" meist nur funktioniert, wenn du im Schlaf redest und nebenbei Kurse verkaufst
17.11.2025
"Verdiene Geld im Schlaf!"
"Arbeite nur 2 Stunden pro Woche!"
"Baue dir ein 7-stelliges, automatisiertes Einkommen auf – ohne Vorkenntnisse!"
Wenn man die Social-Media-Landschaft betrachtet, könnte man meinen, wir Menschen stehen kurz davor, die Arbeit als Konzept vollständig abzuschaffen. Während frühere Generationen schuften mussten, damit die Waschmaschine überhaupt lief, sitzen wir heute mit einem MacBook im Café und lassen das Universum für uns rackern. Zumindest, wenn man den Instagram-Gurus glaubt, die sich mit Macaron-Farbenen Charts und fingernagelgroßen „Einnahmenachweisen“ brüsten.
Doch bevor du deinen Chef anrufst und ihm sagst, du würdest ab sofort nur noch „geistig arbeiten“, lass uns die Sache kurz entzaubern: Passives Einkommen existiert. Aber wahrscheinlich nicht so, wie es dir algorithmisch konditionierte TikToker verkaufen wollen.
Dieser Artikel ist eine freundliche Mischung aus ehrlicher Analyse und einem kleinen Realitätscheck. Mit einem Augenzwinkern. Und einem Schulterklopfen. Und dem Rat: Lass die Kreditkarte für den nächsten "Ultimate Passive Income Masterclass"-Kurs vielleicht besser stecken.
Woher kommt der Mythos?
Früher: Passives Einkommen bedeutete Vermögen
Früher waren passive Einnahmen etwas, das Menschen mit großen Hüten, schweren Zigarren und einem Familienanwalt hatten.
Mieteinnahmen? Ja, aber nur, wenn man drei Mietshäuser geerbt hat.
Dividenden? Klar, wenn man vorher ein Vermögen in Stahl, Kohle oder irgendwas investiert hat, das heute verboten wäre.
Das war die OG-Version: passiv = reich geboren sein.
Ein Modell, das also von Natur aus nicht reproduzierbar war.
Das Internet hat die Idee demokratisiert – theoretisch
Dann kam das Internet und rief: "JEDER kann reich werden! Jeder kann alles! Sogar du!"
Und wir alle so: "Ich?! Wirklich?"
Und das Internet: "Ja, sogar du! (Für nur 799 €, jetzt im Early-Bird-Angebot.)"
Die Rolle der Social-Media-Superhelden
Heute sehen wir Bilder von 21-Jährigen, die am Infinity Pool sitzen, angeblich finanziert durch ihren „Automated Dropshipping Store“.
Fun Fact: Oft wurde der Pool über Finanzierung, Eltern oder Bildbearbeitung bezahlt. Und der Store? Nun ja … der hat 43,99 € Umsatz, wovon 41,70 € Werbekosten waren.
Warum wir daran glauben
Weil wir Menschen emotionale Marshmallows sind. Wir wollen schöne, fluffige Dinge glauben:
"Du musst nicht hart arbeiten!"
"Du brauchst nur EIN System!"
"Reich werden ist ein Mindset!"
Und unser Gehirn: "Hört sich einfacher an als Excel-Tabellen und Steuererklärungen. Kaufen wir!"
Was Menschen unter "passivem Einkommen" verstehen
Definition laut Internet:
"Passives Einkommen bedeutet, dass du morgens aufwachst und überrascht bist, wie viele Nullen dein Kontostand über Nacht bekommen hat."
Die Realität:
- Aktives Einkommen: Du arbeitest. Du wirst bezahlt. (Wie in der Steinzeit.)
- Semi-passives Einkommen: Du arbeitest VIEL und wirst später manchmal bezahlt.
- Passives Einkommen: Du hast viel Vorarbeit geleistet und investiert und dann funktioniert’s irgendwann ein bisschen von selbst.
Die größten Marketing-Illusionen
"Verdiene 5.000 € im Monat mit einem E-Book!" - Ja, wenn du 50 E-Books hast und 100.000 Follower.
"Ein YouTube-Video kann dir jahrelang Geld bringen!" - Ja, wenn du ein virales Meisterwerk produzierst und nicht über Nacht demonetarisiert wirst.
"Dropshipping ist komplett automatisiert!" - Ja, ähnlich wie eine Pflanze automatisiert wächst … wenn du sie gießt, düngst, pflegst und vor dem Erfrieren rettest.
Nichts davon ist wirklich passiv.
Der Aufwand, von dem dir keiner erzählt
Alle "passiven Strategien" haben einen gemeinsamen Nenner: Die Arbeit passiert nur ANFANGS, aber sie passiert.
Und zwar: intensiver, länger, komplexer als jede Coach-Werbeanzeige vermuten lässt.
Regelmäßige Pflege
Das Internet ist keine Schneekugel, die du einmal schüttelst und dann glitzert alles für immer.
Es ist eher wie ein hungriger Tamagotchi: Wenn du es nicht laufend fütterst, stirbt es.
Finanzielle Risiken
Niemand sagt dir: "Passives Einkommen kostet erst mal aktives Geld."
Doch so ist es. Marketing-Budget, Tools, Software, Hosting, Equipment - all das frisst Geld, bevor irgendwas reinkommt.
Jedes passive Projekt ist ein Business. Und Business bedeutet streckenweise Tränen, endloses Googlen, Mails, die mit "Vielen Dank für Ihre ausbleibende Zahlung" beginnen.
Fallstudien: Wo die Passivität endet
Immobilien
Der Klassiker.
Alle sagen: "Mieteinnahmen sind passiv!"
Aber niemand erwähnt Mietnomaden, kaputte Heizungen, Nebenkostenabrechnungen, den einen Mieter, der immer Montags um 6 Uhr schreibt: "Es ist wieder irgendwas."
Dividenden & Aktien
Klingt super passiv. Ist es aber nur, wenn du genug Geld hast, kein Problem mit Schwankungen hast und nicht panisch verkaufst, wenn die Aktie 2 % fällt.
Viele, die "passiv investieren", klicken in Wahrheit 12 Mal am Tag auf die Börsen-App.
Online-Kurse
Online-Kurse sind wie digitale Babys: Du setzt sie in die Welt und dann fangen sie an, Bedürfnisse zu haben.
Updates, Marketing, Support, neue Konkurrenz (die Babys der anderen).
E-Books
Man glaubt, man schreibt ein kleines Büchlein und dann läuft es.
Die Realität: Du wirst Social-Media-Marketing-Profi, SEO-Experte und Teilzeit-Psychologe für Amazon-Rezensenten, die dein Werk mit "war okay" bewerten.
Affiliate Marketing
SEO. Algorithmusänderungen. Plötzliche Provisionskürzungen. Und Google, das irgendwann entscheidet: "Du? Ranking? Nicht mehr."
Dropshipping
Die einzige Sache, die wirklich automatisiert ist, sind die E-Mails unzufriedener Kunden.
YouTube
YouTube ist passiv. Wenn du vorher 500 Videos gemacht hast und dein Nervensystem gut mit Stress umgehen kann.
YouTube ist regelmäßige Content-Planung & -Produktion, Communitymanagement und Schleichwerbung, die du eigentlich nicht machen willst.
Die Psychologie hinter der Illusion
Wir wollen glauben, was gut klingt. Unser Gehirn liebt Abkürzungen. Deswegen essen wir lieber Schokoriegel statt Brokkoli. Und klicken auf Videos wie "Wie ich 1.000 € pro Tag mache – ohne was zu tun".
Kognitive Verzerrungen in Aktion
- Survivorship Bias: Wir sehen die Erfolgreichen, nicht die 99 %, deren Shops nach 3 Monaten offline waren.
- Overconfidence: "Wenn der das kann, kann ich das auch." Spoiler: Vielleicht.
- Confirmation Bias: "I KNEW It!!! Passives Einkommen gibt es DOCH!" - sagt man, nachdem man EIN TikTok gesehen hat, das den eigenen Wunsch bestätigt.
Influencer wissen genau, wie sie uns triggern
Wir sehen: Autos, die wir uns seit Kindheitstagen wünschen.
Reisen an Orte, die wie der Garten Eden aussehen.
MacBooks, die uns diesen Traum verwirklichen.
Passiv, ohne Arbeit, versteht sich.
Cafés, in denen wir durch unser passives Einkommen jetzt viel Zeit verlümmeln können.
Mit unserem MacBook, das wir zum Arbeiten gar nicht mehr brauchen, der Logik nach.
Und Sonnenuntergänge, damit der Kitsch-Faktor nicht fehlt.
Wir denken: "Das will ich auch."
Was wir nicht sehen: 18-Stunden-Tage, Marketingkosten, Burnouts, Steuerprüfungen, Unsicherheit.
Das Komfortprinzip
Das menschliches Leitmotiv für Vieles im Leben lautet: Maximaler Ertrag bei minimalem Aufwand.
Das gleiche Prinzip, das uns dazu bringt, das Einkaufswagerl nicht bis zur Station zurückzubringen.
Die Schattenseiten des "passiven" Einkommens
Finanzielle Verluste
Viele investieren Geld in Tools und Kurse, bevor sie auch nur EINEN Euro verdient haben.
Das ist wie Fitnessgeräte kaufen, bevor man überhaupt weiß, ob man Sport mag.
Zeitverschwendung
Viele Menschen verbringen Monate und Jahre mit einem Modell, das nie funktionieren wird. Nicht, weil sie unfähig sind, sondern weil es nicht zu ihnen passt. Sie verfolgen Ideen, die nicht zu ihnen, ihrem Wissen oder ihrem Markt passen.
Emotionaler Stress
Wenn man tagelang Content produziert und trotzdem Null Euro verdient, fühlt man sich schnell wie ein unbeachteter Straßenkünstler. Nur ohne Hut.
Der Druck, "erfolgreich" sein zu müssen, kann überwältigend wirken.
Im negativen Sinn.
Abhängigkeit
Ändert die Plattform ihre Regeln, ist das Einkommen weg.
Coaches, die mehr am Coaching verdienen
Viele "passive Einkommensprofis" sind in Wahrheit nur in EINEM erfolgreich: dem aktiven Verkauf von Info-Produkten darüber, wie man passiv Geld verdient.
Was funktioniert wirklich?
Ja, es gibt funktionierende Modelle.
ETFs, in die man blind investieren kann.
Immobilien, um die sich eine Hausverwaltung kümmert.
Digitale Produkte, Software, Lizenzen und Content – aber erst, nachdem sie erstellt wurden und du über ein System verfügst (dass du ebenfalls aktiv aufbauen musst), mit dem sie automatisiert beworben, verkauft und ausgeliefert werden.
Doch das erfordert Skill, Zeit, Kapital, Ausdauer.
Oder wenn man es so will: In jedes passive Einkommen muss erstmal ganz schon viel aktive Arbeit und/oder Geld fließen.
Keines davon funktioniert nach dem Motto "Einmal klicken und danach Ferrari fahren."
Automatisierung ist real.
Passivität ist ein Verkaufsmythos.
Wie man nachhaltige (semi-)passive Einnahmen aufbaut
Wenn du ein halbwegs passives Einkommen aufbauen willst, läuft das üblicherweise in drei Phasen ab.
Und die sind nicht super wissenschaftlich.
1. Aufbau: Schweiß und Kaffee
2. Optimierung: Fehler beheben
3. Multiplikation: Systeme bauen
Dafür benötigst du Content/Produkte, kaufmännisches Denken, Analysefähigkeiten, Marketingwissen und –zugang, Disziplin und Geduld.
Die beiden letzten sind die seltensten Ressourcen.
Fehlt dir auch nur eine der genannten Ressourcen, muss wieder aktive Arbeit und/oder Geld fließen.
Erfolg braucht Zeit.
Viel Zeit.
Mehr Zeit als es jeder Coach zugeben würde.
Passives Einkommen entsteht erst NACH Jahren des aktiven Hustles.
Fazit: Ein ehrlicher Blick auf den Traum
Passives Einkommen ist kein Märchen, aber es ist auch kein Feenstaub.
Es ist ein langfristiges, strategisches Ergebnis harter Arbeit, kluger Entscheidungen und einer guten Portion Sturheit.
Passives Einkommen ist nicht falsch, aber die Art und Weise, wie es online dargestellt wird, ist oft irreführend.
Der Gedanke, dass man ohne Arbeit reich wird, ist eine Illusion.
Doch wer bereit ist, sich mit echten Geschäftsmodellen auseinanderzusetzen, langfristig zu denken und kontinuierlich zu lernen, kann durchaus Einkommensströme schaffen, die weniger arbeitsintensiv sind als ein traditioneller Job.
Die reale Definition lautet also:
Passives Einkommen ist Einkommen, für das du HEUTE kaum arbeiten musst, weil du GESTERN unglaublich viel dafür gearbeitet hast.
Wenn man das versteht, verliert die Illusion ihren Nebel und es bleibt eine klare, erreichbare Vision übrig.
Nachwort: Und was bedeutet das alles für die eigene Zeit?
Wenn man sich eine Weile mit den Illusionen rund ums passive Einkommen beschäftigt, merkt man schnell: Die Idee ist nicht falsch. Sie ist nur oft falsch verpackt.
Denn hinter vielen "passiven" Einkommensmodellen steckt kein Zauber, sondern schlicht eines: Arbeit, die sich auszahlt.
Nicht sofort. Nicht automatisch. Aber nachhaltig.
Und vielleicht ist genau das der eigentliche Kern, der im ganzen Hype oft untergeht.
Es geht nicht darum, gar nicht zu arbeiten. Es geht darum, bewusster zu arbeiten.
Viele Menschen rackern sich kaputt, ohne dass sie sich jemals fragen: "Wofür eigentlich? Und warum genau auf diese Weise?"
Die spannende Frage ist nicht, wie man ALLES automatisiert.
Sondern wie man Strukturen schafft, die:
- am Anfang Zeit und Klarheit kosten,
- sich aber später tragen,
- und im besten Fall sogar Zeit zurückgeben.
Genau das ist der Punkt, an dem ich in meinem Workbook & Audiokurs "Reich an Zeit“ ansetze.
Nicht mit einer Methode, die man "befolgen" muss. Und auch nicht mit dem Anspruch, das nächste große Versprechen abzugeben, das in Wahrheit nur ein Luftschloss ist.
Eher mit einer leisen Einladung, die Dinge anders zu denken:
- Wie kann man weniger tun, aber wirkungsvoller?
- Welche Arbeit bringt wirklich weiter – und welche nur Stress?
- Welche Systeme unterstützen dich dabei, langfristig weniger arbeiten zu müssen, weil sie stabil laufen?
- Und wie sieht ein Alltag aus, in dem Arbeit nicht dominiert, sondern ergänzt?
Das Ziel ist nicht Faulheit. Und auch kein 4-Stunden-Arbeitswochen-Mythos.
Es ist vielmehr eine Art arbeitsökonomische Ehrlichkeit:
Investition am Anfang, Entlastung später.
Konzentriertes Tun, statt Daueralarm.
Weniger Hetze, mehr Wirkung.
Für viele entsteht dadurch tatsächlich ein paradoxer, aber wunderschöner Effekt: Weniger Arbeit. Mehr Gewinn. Mehr Zeit.
Nicht weil man nichts mehr tut.
Sondern weil man das Richtige tut - zur richtigen Zeit - in der richtigen Struktur.
Und vielleicht ist das die schönste Erkenntnis nach all den aufgeblasenen Versprechungen.
Nicht der Traum vom "passiven Einkommen" bringt Freiheit.
Sondern die Fähigkeit, die eigene Arbeit so zu gestalten, dass sie einem nicht die Zeit nimmt, sondern welche zurückgibt.



